
Heute Morgen war die Beerdigung einer Frau aus meiner Malgruppe, die von der Krebsberatungsstiftung organisiert wird. Die Dame verstarb am 17.07.2014 an einem Krebsleiden im Hospiz. Ihr letztes Bild war besonders. Schon lange spürte sie eine tiefe Verbundenheit zu Bäumen. Deshalb spielten sie auch in nahezu all ihren Werken mehr oder weniger eine Rolle.
Auch auf ihrem letzten Gemälde war wieder ein Baum zu sehen. Aber diesmal erschien er nicht in der Stimmung des Tages, sondern er erstrahlte in der Dunkelheit der Nacht, im Glanz des Mondscheins. Er schien geradezu zu leuchten und das gesamte Bild hatte eine ganz besondere Strahlkraft, die uns allen sofort auffiel. Der Himmel war voller Sterne, die sie sehr präzise und mit einer Engelsgeduld gemalt hatte. Als das Bild fast vollendet war, passierte etwas Seltsames. Ohne einen besonderen Grund fiel es einfach von der Staffelei auf die Kante eines Stuhls, sodass ein Riss in der Leinwand entstand. Zunächst waren wir alle erschrocken und versuchten H.S. zu trösten, die sehr traurig darüber war. Bei näherer Betrachtung fiel aber auf, dass der Riss aussah, als würde sich ein Tor im Himmel öffnen. H.S., der es zu diesem Zeitpunkt gesundheitlich schon ziemlich schlecht ging, meinte bei diesem Anblick betrübt, dass es sicherlich ein Zeichen dafür sei, dass ihr Tod nun kurz bevor stehe. Einige von uns sahen es jedoch eher als ein Zeichen des Himmels, der ihr Energie und Kraft in Form eines Engels schickte. Das stimmte sie wieder froh. Und nachdem wir das Bild so gut wie möglich geflickt hatten, sah es wirklich so aus, als würde ein Engel durch den Nachthimmel fliegen.
Auf der Beerdigung erfuhren wir dann von ihrer Schwester, dass H.S. mehrfach von diesem Ereignis gesprochen hatte. Und das sie wirklich glücklich darüber war, da sie nun einen Engel als ihren Begleiter an ihrer Seite wusste und keine Angst vor dem bevorstehenden Tod zu haben brauchte.
Ein Ereignis, das viel Raum für Interpretationen bietet. Jeder kann und soll sich seine eigenen Gedanken dazu machen. Deshalb möchte ich hier nur ganz kurz meine eigenen Gedanken zu dieser Begebenheit zum Ausdruck bringen.
Für mich war die Affinität von H.S. zu den Bäumen wirklich besonders. Als wüsste ihre Seele ganz genau von der Beziehung des Menschen zum Lebensbaum, der als Gleichnis und Bildnis des göttlichen Vaters in jedem von uns schlummert und nur darauf wartet erweckt zu werden. Der Lebensbaum fungiert wie eine Jakobsleiter, die eine Verbindung zwischen Himmel und Erde, zwischen Menschheit und Gott schafft. In meinen Augen brachte H.S. ihre unbewussten Gedanken mithilfe ihrer Bilder zum Ausdruck und am Ende ihres Lebens erhielt sie quasi als Bestätigung eine Antwort aus dem Himmel, vom göttlichen Vater, als wollte er diese Beziehung bestätigen.
"Denn seinen Engeln wird er deinetwegen Befehl geben, dich auf all deinen Wegen zu behüten...", Psalm 91